Kämmerer im Interview: „Wir verzehren unser Eigenkapital“

Seit knapp 10 Jahren ist Dr. Patrick Lehmann Kämmerer der Stadt Frechen. In dieser Funktion ist die Planung des alljährlichen Haushalts seine wichtigste Aufgabe. Am 25. Oktober hat die Bürgermeisterin dem Rat den Entwurf des Haushalts für das Jahr 2017 vorgelegt. Er beläuft sich auf ein Gesamtvolumen aus 147.567.750 € an Erträgen und 153.097.000 € an Aufwendungen. Ein Defizit von 5,52 Millionen Euro ist eingeplant. In den kommenden Wochen wird über den vorgelegten Haushalt beraten. Der Stadtrat soll den Entwurf dann am 13. Dezember verabschieden. Im Interview mit Frechenschau.de erklärt Patrick Lehmann, wie es um den Frechener Haushalt aus seiner Sicht bestellt ist und worauf es bei kommunalen Haushalten ankommt. Und warum Frechen vor das Bundesverfassungsgericht zieht.

 

Bild Kämmerer Dr. Patrick Lehmann

Zum Interveiw begrüßte Kämmerer Dr. Patrick Lehmann Frechenschau.de in seinem Büro im Rathaus. Bild: S. Neumann

Herr Dr. Lehmann, wie geht es der Stadt finanziell?

Als ich in der Zeitung im Bericht zur Einbringung des Haushalts den Untertitel gelesen habe, es brechen rosige Zeiten für Frechen an, da war ich schon überrascht. Ich war der Meinung, ich hätte in meiner Haushaltsrede genau das Gegenteil gesagt. Wir machen Defizite zwischen viereinhalb und sechseinhalb Millionen Euro pro Jahr, prognostiziert auch in den nächsten Jahren. Das ist nicht gut. Gut wäre, wenn man Überschüsse erwirtschaftet, um Polster aufzubauen für zukünftige Jahre. Stattdessen leben wir von der Substanz, also wir verzehren unser Eigenkapital.

Was passiert denn, wenn ein Haushalt nicht ausgeglichen ist?

Wir haben einmal eine Ausgleichsrücklage. Die können wir immer nutzen, um Defizite auszugleichen. Die ist aber mittlerweile aufgezehrt, in diesem Jahr. Jetzt gehen wir in die allgemeine Rücklage.

Was ist der Unterschied zur Ausgleichrücklage?

Das lässt sich am besten an der Struktur der Bilanz erklären. Wir haben unsere Aktiva von Straßen über Sachanlagevermögen, Umlaufvermögen, finanzielle Mittel, und ziehen davon die Verbindlichkeiten ab, also die Schulden plus insbesondere Pensionsrückstellungen. Alles das, was übrigbleibt, ist Eigenkapital. Und das ist im Wesentlichen unsere allgemeine Rücklage.

Woran liegt es, dass die Stadt jedes Jahr diese Defizite macht?

Also zum einen steigen die Sozialleistungen immer weiter an, in Frechen wie in allen Städten. Das sind gesetzlich vorgegebene Leistungen insbesondere im Bereich der Familien- und Jugendhilfe. Das kann man nur mit Sorge beobachten, aber die Stadt Frechen kann die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht verändern.

Zum anderen brechen Gewerbesteuereinnahmen in Teilen weg. Und wir haben in der Vergangenheit viel Kreisumlage an den Kreis bezahlt. Das war in den letzten Jahren fast immer unsere größte Position, über 30 Millionen Euro. Das ist für die Stadt Frechen sehr viel Geld, das ist mehr als ein Viertel des Haushalts. Daneben haben wir natürlich auch hohe Standards in Frechen.

Zum Beispiel?

Das beginnt bei den Baustandards. Die Schulen, die wir in Frechen bauen, werden Sie im ganzen Rhein-Erft-Kreis von der räumlichen Ausstattung nicht noch einmal finden. Wir haben in vielen anderen Bereichen Leistungen, die andere Kommunen längst abgeschafft haben. Anders als alle anderen Städte im Kreis fördern wir zum Beispiel den Sport nicht nur durch Zuschüsse, sondern auch dadurch, dass der Sport keinerlei Nutzungsgebühren zahlt. Derartige Standards summieren sich über die gesamte Leistungspalette einer Stadt hinweg zu ordentlichen Beträgen.

In ihrer Rede zur Einbringung des Haushalts 2017 im Rat am 25. Oktober sagte die Bürgermeisterin, es sei „kein Geheimnis mehr, dass unser bislang größter Gewerbesteuerzahler zukünftig kein Garant mehr für sprudelnde Einnahmen ist.“ Hat sie RWE gemeint?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, das fällt unter das Steuergeheimnis. Sie können zwar raten. Aber wenn ein Wichtigster wegfällt, dann haben wir immer einen neuen Wichtigsten.

Die Gewerbesteuer ist die größte Einnahmequelle für die Kommune?

Brutto ja, netto nein, weil wir nicht alles behalten dürfen. Zum einen zahlen wir davon Gewerbesteuerumlage ans Land, zum anderen gehen die Gewerbesteuereinnahmen in die Berechnung der Kreisumlage ein, so dass man sagen kann: Von einem Euro bleiben vielleicht 40 Cent in Frechen. Darüber hinaus stehen den Kommunen aber auch Anteile an der Einkommen- und an der Umsatzsteuer zu.

Wie könnte die Stadt nun wieder Richtung ausgeglichener Haushalt kommen?

Letztlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es wird gespart, oder die Entgelte für städtische Leistungen werden erhöht. Im letzten Haushalt hat die Verwaltung versucht, zum Beispiel über Kita-Beiträge Potentiale zu entwickeln, das heißt, die Nutzer von Leistungen stärker zur Finanzierung dieser Leistungen heranzuziehen. Da hat die Politik nicht mitgemacht. Konsolidieren heißt, Verwaltung und Politik müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. Und das ist nicht immer ganz einfach.

Die Bürgermeisterin sprach in ihrer Haushaltsrede von der Notwendigkeit, „sich von lieb gewonnen Dingen verabschieden zu müssen“. Was hat sie gemeint?

Wir haben in Vorbereitung des Haushalts den Fraktionen eine Liste mit freiwilligen Leistungen zur Verfügung gestellt. Die Politik kann auf dieser Grundlage entscheiden, ob und welche dieser freiwilligen Leistungen abgeschafft werden sollen. In dieser Liste sind alle Leistungen aufgeführt, die keine Pflichtaufgaben der Verwaltung darstellen, also die weder gesetzlich festgeschrieben noch der Stadt Frechen durch das Land zur Erfüllung übertragen sind. Wichtig ist die Feststellung, dass „freiwillig“ in diesem Sinne nicht mit „überflüssig“ oder „problemlos abzuschaffen“ gleichgesetzt werden kann.

Das heißt, wir haben aus Sicht der Verwaltung maximal mögliche Transparenz geschaffen, um die Politik in die Lage zu versetzen, Entscheidungen zu treffen. Die Politik ist der Souverän und wir als Verwaltung setzen dann Entscheidungen um.

Im Mai dieses Jahres hatte der Rat bereits die Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer beschlossen, genauer gesagt die Erhöhung des Hebesatzes. Wen betrifft das?

Eigentümer wie Mieter. Grundsteuer A ist für landwirtschaftliche Flächen, Grundsteuer B betrifft die Hauseigentümer und über die Nebenkostenabrechnung auch die Mieter. Also es betrifft eigentlich jeden, der in Frechen wohnt. Und Gewerbesteuer betrifft wie der Name sagt die Gewerbetreibenden.

Die Grundsteuer wird um 100 Punkte von 420 auf 520 erhöht, das ist ja eine deutliche Erhöhung …

Das ist etwas weniger als ein Viertel, ja. Der Vorschlag, die Grundsteuer um 100 Punkte zu erhöhen, kam aber nicht von der Verwaltung, sondern aus der Mitte des Rates. Ich stehe Steuererhöhungen eher skeptisch gegenüber, zumal wir die gesetzliche Verpflichtung haben, zunächst Nutzer von Leistungen zu belasten, also spezifische Zahlungen für spezifische Leistung zu erheben, ob Musikschule, VHS, Kitas oder Sportstätten. Der Gesetzgeber hat Steuererhöhungen als allerletztes Mittel vorgesehen, wenn man alles andere ausgeschöpft hat.

Dennoch ist die Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuern ein Grund dafür, dass sich der Haushalt 2017 insgesamt positiver darstellt, als noch im Haushalt 2016 prognostiziert …

Ja, die Gewerbesteuer entwickelt sich ganz gut, sowohl die laufenden Vorauszahlungen als auch Nachzahlungen aus den letzten Jahren – auch wenn es die ganz großen Nachzahlungen nicht mehr gibt. Hebesatzerhöhung und laufende Gewerbesteuerentwicklung führen in der Summe dazu, dass wir unsere Gewerbesteuerschätzung für das Jahr 2017 nochmals erhöhen konnten von 33 Millionen Euro in 2016 auf jetzt 37 Millionen Euro in 2017.

Sie haben in Ihrer Haushaltsrede von weiteren Faktoren gesprochen, die eine Verbesserung der Haushaltslage gegenüber den Prognosen begründen …

Der Kreisumlagesatz wird gesenkt. Das bedeutet für uns eine jährliche Gesamtentlastung von mehr als 1,5 Millionen Euro in den kommenden beiden Jahren. Darüber hinaus ist die Stadt erstmals seit dem Jahr 2004 nicht mehr abundante Kommune. Das unschöne Wort „Abundanz“ bedeutet, dass die fiktive Ertragskraft einer Kommune größer ist als ihr fiktiver Finanzbedarf. Deswegen bekommt Frechen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs im Jahr 2017 finanzielle Mittel vom Land, die sog. Schlüsselzuweisungen. Unsere Schlüsselzuweisungen belaufen sich in 2017 auf fast 1,3 Millionen Euro.

Also Frechen muss den so genannten Kommunal-Soli nicht bezahlen, weil die Stadt nicht mehr abundant ist …

Das gilt zumindest fürs nächste Jahr. Aber wir können genauso schnell wieder abundant werden. Die Abundanz beruht auf fiktiven Größen und Schätzungen und hat sehr wenig mit der tatsächlichen Finanzlage zu tun.

Dabei gehörte Frechen zu den 72 Geber-Städten, die gegen den Kommunal-Soli geklagt haben. Die Bürgermeisterin vertritt die Ansicht, dass diese Solidaritätsumlage Kommunen bestraft, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Aber es ist doch so, dass die Stadt auch einfach von Faktoren profitiert, für die sie gar nichts kann, also von der Lage zum Beispiel?

Na gut, Gewerbesteuer kommt ja nicht nur durch die Lage. Wir haben natürlich Unternehmen hier angesiedelt, die von der guten Verkehrsanbindung profitieren. In Frechen ist aber auch eine ganze Reihe von Unternehmen ansässig, die aufgrund einer geschickten Gewerbeansiedlungspolitik der letzten Jahrzehnte hier sind.
Natürlich ist nie immer alles hausgemacht. Die Erfolge von Frechen sind aber nicht weniger hausgemacht als auch die Probleme von anderen Kommunen hausgemacht sind. Eine Stadt wie Essen war vor wenigen Jahren noch in der Lage, für ihren Fünftligaverein ein neues Stadion zu bauen … Da stelle ich mir auch die Frage: Ist das eine zwingend notwendige Aufgabe und müssen alle Kommunen, die abundant sind, das mitfinanzieren über die Solidaritätsumlage?

Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat den Kommunal-Soli Ende August für rechtens erklärt. Nun zieht Frechen mit weiteren Städten vor das Bundesverfassungsgericht …

Alle Kommunen, die davon betroffen waren, haben die Entscheidung gefällt, zunächst vor das Landesverfassungsgericht, den Verfassungsgerichtshof von NRW zu ziehen, und hilfsweise auch Klage einzureichen beim Bundesverfassungsgericht. Das ist also nicht jetzt erst passiert, sondern schon parallel zur Klage vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes NRW. Und diese Klage ist jetzt wieder aufgelebt. Was dabei herauskommt, das werden wir sehen.

Um noch einmal auf die „rosigen Zeiten“ zurück zu kommen: Tatsächlich haben Sie es in Ihrer Haushaltsrede als „mutig“ bezeichnet, die finanzielle Zukunft der Stadt Frechen als rosig darzustellen. Wo liegen die Risiken?

Das erste natürlich: Wir müssen von Jahr zu Jahr schauen, ob wir abundant sind. Das einfache Kippen von „abundant“ nach „nicht abundant“ macht bei uns im Moment eine Haushaltsverbesserung von fast 3 Millionen Euro aus.

Was auch nie genau voraussehbar ist, ist natürlich die Entwicklung der Gewerbesteuer.
Ich erinnere nur an einzelne Unternehmen wie VW. VW ist vermutlich in ganz Deutschland in jeder einigermaßen großen Kommune Gewerbesteuerzahler. Im Nachgang des Dieselskandals hat VW ihre Vorauszahlungen deutlich reduziert. Das sind dann schon ein paar Euro, die fehlen.

Und nicht vorhersehbar ist, was der Kreis macht. Im Rhein-Erft-Kreis ist ein Doppelhaushalt geplant; wenn der so beschlossen ist, dann steht der Kreisumlage-Satz erstmal für 2017 und 2018 fest. Aber was danach passiert, das wissen wir nicht.
Und dann haben wir gerade im Sozialbereich einen seit Jahren stetigen Anstieg. Die unmittelbaren Einflussmöglichkeiten der Stadt auf diesen erheblichen Kostenblock sind äußerst gering.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lehmann.

1 Kommentar

  • „Konsolidierung ist Aufgabe von Politik und Verwaltung. Hier muss an einem Strang gezogen werden“. Wurde die Politik verwaltungsseitig vorab über geplante Erhöhungen im Kita Bereich informiert? Nö! Das zum Thema „an einem Strang ziehen“…. 

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