Familie Nouri wohnt jetzt am Mühlenbach

Familie Nouri mit Wida Ayarni (l.) am Eingang ihres Wohncontainers

Die neunjährige Romina und ihre Eltern Arastoo Nouritorkadeh und Maryam Najafzadeh, hier neben der ehrenamtlichen Dolmetscherin Wida Aryani (l.), haben eine Wohneinheit in der Flüchtlingsunterkunft „Wohnen am Mühlenbach“ für sich.
Bild: Susanne Neumann

 

Romina ist auf dem Sprung. Mittwochs nachmittags geht die Neunjährige immer zum Sport. Heute steht Takeshi auf dem Programm, darauf freut sie sich besonders. Takeshi ist ein Sport, bei dem die Spieler einer Mannschaft über eine Hindernisbahn turnen, während die der anderen Mannschaft versuchen, sie mit Bällen abzuwerfen. „Wir machen da aber auch andere Sachen“ erzählt Romina über das allwöchentliche Sportangebot ihrer Schule, „nicht nur Takeshi“. Deutsch kann sie schon ganz gut. Dabei ist sie mit ihrer Mutter Maryam Najafzadeh und ihrem Vater Arastoo Nouritorkadeh – abgekürzt „Nouri“ – erst vor ein paar Monaten aus ihrer Heimat Iran geflüchtet und Ende März nach Deutschland gekommen.

Ich besuche die iranische Familie an diesem Nachmittag in ihrer neuen Unterkunft im Flüchtlingsquartier „Wohnen am Mühlenbach“. So hat die Stadt das Viertel aus Wohncontainern auf der Sportanlage Herbertskaul genannt. Die Bezeichnung stammt aus der Flurkarte der Stadt Frechen, in der das Gebiet als „Mühlenbach“ bezeichnet wird. Historische Karten zeigen dort einen Bachverlauf, Mühlengräben und Teiche.*
Seit Anfang Dezember ist das Containerdorf auf dem Gelände bezugsfertig. Romina und ihre Eltern gehörten zu den 67 Flüchtlingen, die als erste dorthin gezogen sind – aus der Anne-Frank-Schule, wo sie zwei Monate untergebracht waren. Davor, seit April und bis zur Räumung im August, hatte die Familie in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Sporthalle des Frechener Gymnasiums im Zelt gehaust. Das erste, was sie gemacht habe, als sie in den Container gezogen war, war duschen, erzählt Maryam Najafzadeh. Wie seit April nicht mehr: Die junge Frau hat eine schlecht verheilende Wunde am Fuß und geht an einer Krücke. Mit dem offenen Fuß habe sie wegen der hygienischen Verhältnisse in den Gemeinschaftsunterkünften nicht zu duschen gewagt, gesteht sie.

Der größte Luxus ist die eigene Dusche

In ihrer jetzigen Unterkunft hat die Familie ein eigenes kleines Bad mit WC, Waschbecken und Dusche. Dort hinein gelangt man durch eine kleine Küche mit Spüle und einem Herd aus zwei Kochplatten. Diese Kücheneinrichtungen gehört zur Standardausstattung der Wohneinheiten im Containerdorf. Für eine kleine Kommode, die Familie Nouri geschenkt bekommen hat, ist gerade noch Platz. Darauf steht ein Reiskocher – selbst gekauft für ungefähr 20 Euro. „Man wartet, bis so ein Gerät mal im Angebot ist“, erklärt Maryam Najafzadeh, wie sie sich das leisten konnte. Das Geld für ihren Lebensunterhalt bekommt die Familie von Sozialamt, solange noch nicht über ihren Asylantrag entschieden wurde. Sollten sie dann bleiben dürfen, bekommen sie Arbeitslosengeld II.

Esstisch der Familie Nouri im Containerdorf "Wohnen am Mühlenbach"

Ein Tisch mit Stühlen gehört zur Standardausstattung einer Wohneinheit in den Containern. Vom Wohnraum aus geht es in eine kleine Küche. Bild: Susanne Neumann

Die Eingangstür führt in den Wohnraum, der mit ein paar Unter- und Oberschränken und einem Tisch mit Stühlen spärlich eingerichtet ist. Nebenan steht der Familie noch ein gleich großer Raum zur Verfügung, der als Schlafzimmer dient. In der einen Hälfte hat sich das Ehepaar aus den Bettgestellen, die den Flüchtlingen in den Containern zur Verfügung stehen, ein Doppelbett gebaut. Auf der gegenüberliegenden Seite hat Romina ihr Bett. Die kahlen Wände darüber hat das Mädchen mit ein paar Bildchen verschönert, die es selbst ausgemalt hat. Ein längs der Wand aufgestellter Schrank aus grauen Metallspinden trennt ihr Bett von dem der Eltern.

Platz für neue Flüchtlinge

Insgesamt wohnt die dreiköpfige Familie auf etwa 36 Quadratmetern. Und da hat sie es noch gut. Denn die Wohneinheiten in den aneinandergebauten Containern auf dem Gelände sind für bis zu sechs Personen konzipiert – mit drei Etagenbetten im Schlafzimmer. Doch zur Zeit kann die Stadt die Flüchtlinge etwas großzügiger auf die Einheiten verteilen. Ursprünglich für mehr als 400 Personen gedacht, leben aktuell 141 Menschen in der Flüchtlingsunterkunft (Stand 20.12.2016), darunter mehrere Familien mit Kindern.

Neben den Asylsuchenden aus der Anne-Frank-Schule sind in den letzten beiden Wochen diejenigen hierher gezogen, die in der Gerhard-Berger-Halle in Frechen-Königsdorf untergebracht waren, und die Flüchtlinge aus der Willi-Giesen-Halle in Frechen-Habbelrath. Damit sind nun alle Sport- und Mehrzweckhallen in Frechen geräumt. Die Gerhard-Berger-Halle solle so schnell wie möglich wieder für Frechener Vereine und Veranstaltungen zur Verfügung stehen, informiert die Stadtverwaltung. Man rechne aktuell mit einer Übergabe schon im Januar oder spätestens Februar. Die Mehrzweckhalle in Habbelrath werde aber wieder für die Unterbringung von 80 Flüchtlingen vorbereitet.
Denn aktuell kommen wieder neue Flüchtlinge in Frechen an. Wie jede andere Gemeinde in Deutschland ist die Stadt Frechen dazu verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen und menschenwürdig unterzubringen, bis ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.

Romina wohnt jetzt im Containerdorf "Wohnen am Mühlenbach"

Romina hat sich ihre Ecke im Schlafraum mit selbst gemalten Bildern verschönert.
Bild: Susanne Neumann

Dabei hat jede Kommune eine festgelegte Quote zu erfüllen. Nach Auskunft der Stadt sind in den städtischen Unterkünften in Frechen derzeit insgesamt 655 Flüchtlinge mit und ohne Anerkennung untergebracht. Das seien rund 120 Flüchtlinge weniger, als Frechen laut Quote maximal aufnehmen muss. „Wir rechnen daher mit neuen Zuweisungen in den nächsten ein bis zwei Monaten“, erklärte Georg Becker, Leiter des Fachdienstes Jugend, Familie und Soziales, in der Stadtratssitzung vergangene Woche. “Am ‚Mühlenbach‘ haben wir noch Platz für zirka 160 weitere Menschen, ohne dass es dort zu eng wird“, informiert Pressesprecher Thorsten Friedmann. „In einer Ausnahmesituation könnten dort weitere 100 Menschen untergebracht werden (allerdings wirklich nur im absoluten Ausnahmenotfall).“ Im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus wird in Habbelrath neben der Willi-Giesen-Halle gerade ein Haus mit 18 Wohneinheiten gebaut. Dort könnten auch insgesamt 72 Flüchtlinge untergebracht werden. „Wir sind außerdem noch an 1 bis 2 Mietoptionen dran, die uns weitere, wenn auch wenige Plätze verschaffen könnten“, so Thorsten Friedmann weiter. „Ohne die offenen bzw. noch nicht gebauten Optionen/Notfälle haben wir insofern aktuell eine ‚Reserve‘ von 240 Plätzen.“

Welcome im Sozialraumcontainer

Familie Nouri empfängt mich in ihrem neuen Zuhause mit Weihnachtsplätzchen, die die Kinder in der Schule gebacken haben. Auch ein Kaffee wird mir angeboten. Die Kaffeemaschine hat Wida Aryani der Familie besorgt. Die ehrenamtliche Dolmetscherin stammt ebenfalls aus dem Iran und unterstützt uns bei unserem Gespräch für Frechenschau.de. Sie kam selbst vor 21 Jahren als Flüchtling nach Deutschland. Man trifft sie jetzt öfter im so genannten „Sozialraumcontainer“, den die Stadt Frechen auf dem Gelände eingerichtet hat. „Welcome“ steht in großen Lettern draußen an der Wand. Wochentags von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 16 Uhr sind dort städtische Mitarbeiter als Ansprechpartner und für niederschwellige Beratungsangebote anzutreffen. „Wir arbeiten aktuell daran, dass dort im kommenden Jahr auch der ‚Integration-Point‘ des Jobcenters (Sitz in Kerpen) regelmäßig eine Sprechstunde anbietet, was natürlich für die Integration in Arbeit ein schöner Gewinn wäre“, informiert Thorsten Friedmann über Angebote für die Bewohner des Containerdorfs. Der Sozialraumcontainer soll auch ein Ort der Begegnung sein. Eine gemütliche Sitzecke wurde eingerichtet und eine Kinderecke, wo ein paar Spielsachen und Kinderbücher darauf warten in Beschlag genommen zu werden.

Insbesondere die Kinder vermitteln die städtischen Mitarbeiter aber auch in die ganz normalen freizeitpädagogischen Angebote, zum Beispiel auf dem benachbarten Abenteuerspielplatz. So sollen Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge zusammenkommen. Und mit den Fußballvereinen vor Ort, insbesondere dem DJK Viktoria 1919 Frechen, wurde eine „Flüchtlingsmannschaft“ eingerichtet, die vor allem die jungen, am Mühlenbach wohnende Männer ansprechen soll. Erste Trainingseinheiten mit einzelnen Bewohnern hätten Dank der Initiative des „Alt-Viktorianers“ Micki Ditzel bereits stattgefunden, weiß Thorsten Friedmann.

Sozialraumcontainer im Containerdorf "Wohnen am Mühlenbach"

Im Sozialraumcontainer sind regelmäßig städtische Mitarbeiter als Ansprechpartner anzutreffen, wie Leonie Eschweiler (r.) und Wida Aryani, die ehrenamtlich als Dolmetscherin im Einsatz ist.
Bild: Susanne Neumann

“Wir sind sehr dankbar“

Romina und ihre Eltern gehen nachmittags gerne in die Stadtbücherei, wenn das Mädchen aus der Schule gekommen ist. Ganz ihrem Alter entsprechend besucht sie die dritte Grundschulklasse. Maryam Najafzadeh und Arastoo Nouri bringen sich vor allem selbst etwas Deutsch bei. Als sie noch in der Halle im Gymnasium untergebracht waren, hätten sie den ehrenamtlichen Unterricht von Uli Lussem besucht, wie sie erzählen, dem Vorsitzenden des Flüchtlingsnetzwerks Frechen. Aber besonders für Maryam Najafzadeh ist es mit ihrer Gehbehinderung derzeit kaum möglich, zu irgendeinem Deutschkurs zu kommen. Anspruch auf und die Verpflichtung zu einem geförderten Integrationskurs mit Deutsch- und Orientierungsunterricht haben die beiden ohnehin erst, wenn entschieden sein wird, ob sie – zumindest bis auf weiteres – in Deutschland bleiben dürfen.

Mit den anderen Bewohnern in der Flüchtlingsunterkunft hat die Familie bislang nicht viel Kontakt. Man grüße sich, aber viel mehr nicht. „Die verstehen uns nicht und wir verstehen die nicht“, macht Maryam Najafzadeh auf Verständigungsprobleme aufmerksam. Und mehr noch als Kontakt zu ihren Landsleuten suchten sie den Kontakt zu Deutschen. Maryam Najafzadeh ist gelernte Erzieherin und würde auch hier gerne Kinder betreuen, wie sie erzählt. Arastoo Nouri hatte im Iran eine Boutique und gab nebenberuflich Englischunterricht. Warum sie aus dem Iran fliehen mussten, behalten die beiden mir gegenüber lieber für sich. „Die Familie ist sehr, sehr zufrieden und dankbar für alle Hilfe, die sie hier bekommt“, übersetzt Wida Aryani eindringliche Worte, die die beiden Flüchtlinge in ihrer persischen Sprache an mich richten. Es geben auch Flüchtlinge hier, die unzufrieden seien mit ihrer Situation und ihren Wohnverhältnissen am Mühlenbach, aber Familie Nouri gehöre nicht dazu.

*Quelle: Volker H.W. Schüler, Wolfgang E.R. Glaser: Die Frechener Bäche und der Kölner Randkanal, Frechener Geschichtsverein (Verleger), 2011.

2 Kommentare

  • Ruth Bruker

    War jetzt ( fast 3 Jahre später) noch einmal jemand dort? Ich habe Angst dort hin zu gehen. Nicht wegen der Menschen, sondern wegen der Zustände, die ich, direkt vor unserer Haustüre, im reichen Deutschland, für menschenunwürdig empfinde.
    Muss das sein? Nach 3 Jahren immer noch Containerdorf?

  • Peter Singer

    Es ist und bleibt ein Containerdorf, eine Notunterkunft.
    Und es ist und bleibt ein Ghetto. Da nützt es auch nicht, wenn man das Ganze nobel als „Wohnen am Mühlenbach“ verkauft. Ein Titel der an eine Villengegend erinnert.

    So sehr es zu begrüßen ist, dass die Menschen nicht mehr in Turnhallen leben müssen. Es ist und bleibt ein Fehler die geflüchteten Menschen nicht dezentral unterzubringen.
    Integration kann so nur schwerlich gelingen.

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