19. Deutsche Internationale Grafik-Triennale Frechen – Ein Rundgang vor Eröffnung
Grafik-Triennale ist, wenn das Werk in zweierlei Hinsicht gleichermaßen zu bannen vermag: auf inhaltlicher Ebene wie bei der Frage nach dem Herstellungsverfahren. „Wie ist das gemacht?“ ist die Frage, die mich förmlich anspringt, als ich die Arbeiten von Juan Escudero erblicke. Feinste Stromlinien, zwischen denen unregelmäßig sich fortsetzende Zwischenräume entstehen, überziehen das gesamte Format und erschaffen auf dem Papier eine plastisch wirkende, ungemein dynamische Oberflächenstruktur. Es scheint, als könnte ich Struktur und Bewegung erspüren, würde ich mit der Hand darüberstreichen. Es handele sich hier um eine Radierung als Hochdruck, erfahre ich von Helmut Kesberg, dem Vorsitzenden des Kunstvereins zu Frechen, der mich an diesem Sonntag vor Eröffnung der 19. Deutschen Internationalen Grafik-Triennale Frechen durch die sich noch im Entstehen befindliche Ausstellung im Frechener Stadtsaal führt.
Radierung im Hochdruckverfahren
Das Herstellungsverfahren ist nur einer der guten Gründe, warum dem Spainer Juan Escudero der 1. Preis der diesjährigen Grafik-Triennale zuerkannt wurde. Er hat herkömmliche Druckverfahren miteinander kombiniert, um Druckgrafiken von jener innovativen, künstlerischen Qualität zu erschaffen, die für die Würdigung durch die Jury den Ausschlag gibt. Im herkömmlichen Sinne ist eine Radierung nämlich kein Hoch- sondern ein Tiefdruckverfahren, bei der sich die Farbe in den Vertiefungen der Druckplatte befindet, wenn sie auf möglichst saugfähiges Papier gepresst und dadurch übertragen wird. Beim klassischen Hochdruck dagegen wird die Farbe auf den erhabenen Teilen der Druckfrom oder -platte verteilt, die Vertiefungen werden ausgespart. Folglich wird ein Negativmuster auf Papier gedruckt. Linolschnitt und Holzschnitt sind beispielweise klassische Hochdruckverfahren. Eine Radierung wiederum ist dadurch definiert, dass Linien und Punkte direkt in die Oberfläche der Druckplatte geritzt werden (Kaltnadeltechnik) oder sie werden in die Druckplatte geätzt – eine Technik, die Juan Escudero bei seinen Arbeiten angewendet hat.
Reichtum an Ideen und Möglichkeiten
Die Bandbreite der Darstellungsmittel sei seit der ersten Grafik-Triennale Frechen mit ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte größer geworden, stellt Helmut Kesberg in einem Beitrag zur 19. Grafik-Trienale fest. Zwar dominierten die klassischen Techniken im Hoch- und Tief- sowie Siebdruck. Lithografische Arbeiten seien jedoch seltener geworden. Dafür nähmen Kombinationen mit fotochemischen und digitalen Verfahren zu. Technische Innovationen hätten eben auch der Grafik immer neue Verfahren erschlossen.
Neue grafische Techniken wie Computerdruck werden zur Teilnahme an der Grafik-Triennale ebenso akzeptiert wie die traditionellen Drucktechniken, also Holzschnitt, Linolschnitt, Siebdruck oder Radierung. Voraussetzung für die Teilnahme ist nur, dass sich die eingereichten Arbeiten der Druckgrafik zuordnen lassen. Wie schon vor drei Jahren verblüfft mich einmal mehr der Reichtum an technischen Möglichkeiten und Herstellungsverfahren, den die Grafik-Triennale repräsentiert.
Fesselnde Motive – rätselhafte Details
Bei anderen bereits gehängten Arbeiten fesseln mich zuerst die Bilder und Motive. Max Brenner aus Östereich zum Beispiel hat im Siebdruckverfahren, mit Popart-farbenem Sprühlack auf Papier ein Labyrinth aus Supermarktregalen erschaffen. Kunden mit Virtual-Reality-Brillen vor Augen schieben ihre vollen Einaufswagen durch die engen Gänge. Was sich schon auf den ersten Blick als Konsumkritik offenbart, wird durch die vielen Details wieder rätselhaft, die es im Bild zu entdecken gilt: Die wenigen Waren in gepünderten Regalen sind in Auflösung begriffen. Hier reckt sich der Arm eines scheinbar Ertrikendenden aus einem oberen Regalbrett, dort ringelt sich eine Schlange zusammen – oder auseinander? Sind das zwei Vorratspackungen Klopapier, die der Gamer im Vordergrund der Szenerie unter dem Arm trägt? Und warum nennt Max Brenner diese Arbeit „Schmetterling 2020“?
Eine Flut von Assoziationen lösen bei mir die Figuren und Motive in der Radierung „Infinity Pool“ von Tobias Crone aus – zuallererst Gedanken an die schreckliche Überschwemmungskatastrophe an Ahr und Erft. Dabei stammt die Druckgrafik des Berliner Künstlers aus dem Jahr 2018.
Bewerbungen aus aller Welt
Fast 500 Bewerbungen aus aller Welt gingen nach Angaben des Kunstvereins zu Frechen zur 19. Grafik-Triennale ein. Der Kunstverein richtet die Ausstellung aus und veranstaltet sie in Zusammenarbeit mit der Stadt. Erstmals wurde die Altersbeschränkung der Bewerberinnen* von bis zu 40 Jahren aufgehoben. Außerdem wurde ein reines Online-Bewerbungsverfahren eingerichtet. Die neuen Teilnahmebedingungen hätten dazu geführt, dass sich die Zahl der Bewerbungen um fast 70 Prozent gesteigert habe, informiert der Kunstverein. Nach einer Vorauswahl wurden 132 Bewerberinnen* aus 40 Ländern aufgefordert, ihre Originalgrafiken einzureichen. Im Mai suchte eine Zulassungsjury aus fünf Fachkundigen schließlich 56 Künstlerinnen* aus 19 Ländern zur Teilnahme aus. Außerdem vergab sie vier Preise und drei Ehrenvolle Erwähnungen.
Preise und Ehrenvolle Erwähnungen
1. Preis: Juan Escudero aus Spanien bekommt für seine Radierungen den ersten Preis – 2.500 Euro, gestiftet von der Stadtbetrieb Frechen GmbH. Escuderos Werke gestalten mit ihren subtilen, feinen, geätzten Linien eine Oberfläche, die wie die von Wellen bewegte Oberfläche eines Ozeans anmutet oder wie ein Seidenstoff, der vom Wind bewegt wird. Auch Escuderos Bilder enthalten ein Rätsel, das einen tiefen Eindruck hinterlässt.
2. Preis: Die Siebdrucke von Ann Aspinwall aus den USA, der der zweite Preis zuerkannt wurde – 1.500 Euro, gestiftet von TANDEM Lagerhaus und Kraftverkehr Kunst GmbH – ziehen unsere Blicke auf sich, tief gestaffelte Landschaften in faszinierend leuchtenden Farben. Wasser, Land, Himmel, wellenförmige Linien verlieren sich am Horizont.
3. Preis: Christina Weyda, die mit dem dritten Preis ausgezeichnet wird – 1.000 Euro, gestiftet von der RWE Power AG – erschafft in ihrer Serie über das Wesen der Bäume rätselhafte, autonome Bildräume mit einer eigenartigen Tiefe, in denen sich vielgestaltige Flächen und prägnante Linien begegnen.
Der Förderpreis – 1.000 Euro, gestiftet von der GVG Rhein-Erft GmbH – geht an Maikel Stricker, der noch an der TU Dortmund studiert und mit zarten, reduzierten Radierungen von Flusslandschaften in hellen Grautönen überzeugt hat. Auch er bewegt sich mit seiner Drucktechnik bis an die Grenze dessen, was möglich ist und von uns noch wahrgenommen werden kann.
Darüber hinaus wurden drei Ehrenvolle Erwähnungen (honourable mentions) vergeben: an Cees Andriessen (NL), Hossein Abdi (Iran) und Ariane Fruit (FR).
Text: Helmut Kesberg, Kunstverein zu Frechen
Eröffnet wird die 19. Deutsche Internationale Grafik-Triennale Frechen am 1. August. Drei Wochen lang wird die Ausstellung mit über 150 Exponaten druckgrafische Spitzenleistungen aus aller Welt präsentieren. Etliche von ihnen seien mit günstigen Preisen als Einstieg für junge Kunstsammlerinnen* geeignet, wie der Kunstverein informiert. Es erscheint auch wieder ein Katalog in hoher Druckqualität.
Die Preisträgerinnen* und weitere Künstlerinnen* aus verschiedenen Ländern haben zur Eröffnung ihr Kommen zugesagt. Die Preisverleihung findet Corona-bedingt im kleinen Kreis von geladenen Gästen statt.
Informationen zur Grafik-Triennale 2021 in Frechen
Vernissage: 1. August, 12 Uhr, Stadtsaal
Besucherinnen* werden gebeten, ihren Besuch wenn möglich per Mail an info@kunstverein-frechen.de für ein bestimmtes Zeitfenster anzumelden:
A: 12 – 13.30 Uhr, B: 13.30 – 15 Uhr, C: 15 – 16.30 Uhr, D: 16.30 – 19 Uhr
Die weiteren Öffnungszeiten:
3. bis 22. August, täglich außer montags, 15 – 19 Uhr
Möglichst Anmeldung per Mail an info@kunstverein-frechen.de für die Zeitfenster:
15 – 17 Uhr oder 17 – 19 Uhr
Ort: Stadtsaal Frechen, Kolpingplatz 1
(erreichbar mit Stadtbahnlinie 7 nach Frechen-Berrenrath)
Der Eintritt ist frei.
Informationen – auch zu aktuellen Corona-bedingten Maßnahmen:
www.kunstverein-frechen.de, Büro des Kunstvereins: 02234-16967 (di + do 10-13 Uhr)
Herzlichen Dank für diesen Artikel! Ich habe selten einen Bericht gelesen, in dem sich eine Journalistin so eingehend auf Ausstellungsobjekte eingelassen hat, mit einem neugierigen, frischen Blick und mit eigenständigem Urteil. So kann man wirklich Leser für Kunst begeistern!