Corona-Krise belastet Frechens Haushalt – Kämmerer Dr. Lehmann gewährt Einblicke

Die Corona-Krise droht Städten und Gemeinden finanziell das Genick zu brechen. „Insbesondere durch Stundungen der Gewerbesteuern bis hin zum Aussetzen von Vorauszahlungen und möglichen Rückerstattungen in der Folge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie  sind in den kommunalen Haushalten schon erste Spuren deutlich erkennbar“, informiert das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen (MHKBG NRW) auf Anfrage. „Neben direkten Steuereinzahlungen auf der kommunalen Ebene werden auch die Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer infolge der Pandemie unter Druck geraten. Hinzu treten Ertragsausfälle bei Kultur- und ÖPNV-Betrieben, die in der Folge c.p. (sic) höhere Verlustausgleiche erfordern werden.“ Hinzu kommen auch noch Ausgaben, die nicht in den kommunalen Haushalten für dieses Jahr eingeplant sind, zum Beispiel für Atemschutzmasken für städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder für die Hygiene-Ausstattungen von Schulen und Kindergärten.

Frechens Kämmerer und erster Beigeordneter Dr. Patrick Lehmann in einem Interview mit Frechenschau.de vor 4 Jahren.
Foto: Susanne Neumann

Die finanzielle Belastung aufgrund der Pandemie belaufe sich in Frechen bis dato auf insgesamt 3.754.088 €, informierte Kämmerer Dr. Patrick Lehmann vergangene Woche Dienstag im Haupt-, Personal- und Finanzausschuss (HPFA). Dort berichtete er auf Antrag der SPD-Fraktion über die aktuelle Finanzsituation der Stadt – und über ein Kommunal-Schutzpaket, das das nordrhein-westfälische Landeskabinett am 31. März geschnürt hat, um finanziell in Bedrängnis geratenen Kommunen aus der Patsche zu helfen.

Nach Auskunft des MHKBG wurde ein Acht-Punkte-Plan beschlossen, „um eine erneute finanzielle Schieflage der Kommunen nach der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 ff. abzumildern und deren Handlungsfähigkeit auch perspektivisch abzusichern (…)“. Zum Plan zählen unter anderem: Krediterlass, Liquiditätssicherung, Absicherung von öffentlichen Verkehrsinfrastrukturgesellschaften und ein anteiliger Ausgleich corona-bedingter Schäden aus dem NRW-Rettungsschirm. Finanzspritzen vom Land für die Kommunen seinen bislang aber nicht vorgesehen, wie es im HPFA hieß.

Corona-Krise beeinflusst Steuereinnahmen massiv

Ob das alles reichen wird, um die Kommunen vor dem Bankrott zu bewahren, ist bislang ebenso unkalkulierbar, wie die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise auf den städtischen Haushalt. Es gebe keinerlei Hinweise, wie sich Gewerbesteuer-, Einkommensteuer- oder Umsatzsteuer-Einnahmen entwickeln werden, stellte Patrick Lehmann im HPFA fest. Der erwartete Einnahmeausfall bei der Gewerbesteuer zum Beispiel belaufe sich bis dato auf 2,61 Millionen Euro, diese Rechnung beinhalte aber noch nicht die „großen Frechener Steuerzahler“.

Die Gewerbesteuer und der Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer zählen zu den wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen und sind die mit Abstand größten Haben-Positionen im Haushalt. Im Haushaltsplan 2020 der Stadt Frechen sind die Gewerbesteuereinnahmen mit 39,2 Millionen Euro veranschlagt, die anteiligen Einnahmen aus der Einkommensteuer mit rund 33,7 Millionen Euro. Danach kommt lange nichts. Die drittgrößte Position sind Einnahmen aus der Grundsteuer B mit 12,3 Millionen Euro, gefolgt vom Anteil an der Umsatzsteuer mit rund 7,1 Millionen Euro.

Interview mit Kämmerer in Schriftform

Frechenschau.de erlaubte sich im Nachgang der HPFA-Sitzung, um ein Interview mit Dr. Patrick Lehmann zu bitten, und schickte einige Fragen, die Thema des Interviews sein sollten. Der Kämmerer zog es vor, dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Hier die (im Nachgang redaktionell überarbeiteten) Fragen und seine Antworten:

Frechenschau.de: Das Landeskabinett hat ein „Kommunal-Schutzpaket“ geschnürt, das auch auf das Kommunale Haushaltsrecht Bezug nimmt. Sie selbst haben in der letzten Sitzung des HPFA festgestellt, dass dabei „restriktive Grundregeln, die eine ordentliche Haushaltswirtschaft sicherstellen, außer Kraft gesetzt werden.“ Unter anderem wird es für Kommunen erheblich leichter, Kredite aufzunehmen, damit sie zahlungsfähig bleiben. Die Pandemie-bedingten Finanzschäden sollen insgesamt als separater Posten festgestellt und über einen Zeitraum von 50 Jahren abgeschrieben werden können. Bedeutete das unterm Strich, dass die Stadt Frechen jetzt mit vollen Händen geborgtes Geld ausgeben könnte, um die Rückzahlung der Schulden nachfolgenden Generationen zu überlassen?

Dr. Patrick Lehmann: Nein, das heißt es nicht! Nach meiner Einschätzung ist es die Intention des Kabinettsbeschlusses, den Kommunen auch in Krisenzeiten die in Paragraf 75 der Gemeindeordnung angesprochene stetige Aufgabenerfüllung zu ermöglichen. (§ 75 Ab.1 Gemeindeordnung (GO) NRW: „Die Gemeinde hat ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Die Haushaltswirtschaft ist wirtschaftlich, effizient und sparsam zu führen.“)

Beispielsweise sind die Möglichkeiten zur Erhöhung der Kreditaufnahme über die im Haushaltsplan festgelegte Höchstgrenze hinaus in diesem Sinne zu verstehen. Soll von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, ist eine Nachtragssatzung zu beschließen, die der Kommunalaufsicht anzuzeigen ist. Insofern sind Kontrollmechanismen durchaus weiterhin in Kraft.

Grundsätzlich besteht eine Pflicht zur Aufstellung eines Nachtragshaushalts, wenn sich abzeichnet, dass der Haushaltsvollzug wesentlich von Haushaltsplan abweicht. Und genau diese Verpflichtung soll aufgehoben werden, weil die Möglichkeiten einer verlässlichen Prognose der Haushaltsentwicklung vom Landeskabinett derzeit als nicht gegeben angesehen werden.

Die Isolierung von Corona-bedingten Folgen im Haushalt und deren Abschreibung über 50 Jahre verfolgt das Ziel, innerhalb eines Haushaltsjahres nicht oder nur schwer zu verarbeitende Defizite durch Verteilung auf einen langen Zeitraum auf ein handhabbares Maß zu reduzieren.

Das Epidemie-Gesetz des Landes NRW, das seit 14. April in Kraft ist, bestimmt mit einer Ergänzung des Paragrafen 81 Gemeindeordnung (GO) NRW, dass der Rat im Haushaltsjahr 2020 weder eine Haushaltssperre verhängen darf, noch eine vom Kämmerer aufheben darf. Das heißt, Sie dürfen den Haushalt sperren, ohne dass der Rat etwas dagegen unternehmen kann?

(…) Da Paragraf 25 Abs. (sic.) KommHVO NW ebenfalls geändert werden soll, ist eine Haushaltssperre durch den Kämmerer auf dieser Grundlage ebenfalls nicht möglich. Die vorgesehenen Änderungen sind sämtlich vom Landtag noch nicht beschlossen und daher nicht in Kraft.

(Anm. d. Red.: Paragraf (§) 81 GO NRW wurde durch einen Absatz 5 ergänzt, der § 81 Absatz 4 außer Kraft setzt: Absatz 4 erlaubt dem Rat, unter bestimmten Bedingungen eine Haushaltssperre zu verhängen und aufzuheben. Laut MHKBG ist Absatz 5 mittlerweile in Kraft und Absatz 4 damit außer Kraft. Eine konkrete Änderung von Paragraf 25 hat das Ministerium auf Anfrage von Frechenschau.de nicht bestätigt. Vielmehr hieß es: „Dem jeweiligen Kämmerer wird es möglich bleiben, sogenannte Bewirtschaftungskontrollen vorzunehmen.“)

Noch keine Konsolidierungsmaßnahmen

Die Städte und Gemeinden haben in Deutschland Pflichtaufgaben und freiwillige Aufgaben. Zu den Pflichtaufgaben zählen alle Aufgaben, die ihnen per Gesetz oder durch Weisung des Landes übertragen sind. Dazu zählen zum Beispiel die Gefahrenabwehr, der Betrieb von Schulen oder die Kinderbetreuung. Alles, was nicht als Pflichtaufgabe der Kommunen definiert ist, sind demnach freiwillige Aufgaben und Einrichtungen. Dazu zählen Musik- und Volkshochschulen, Stadtbüchereien, Museen, Sportstätten wie das Spaßbad FreshOpen und das Terrassenfreibad, das saniert werden muss. Droht alldem das Aus?

Wichtig ist mir die Feststellung, dass Freiwilligkeit in diesem Sinne in keinem Fall mit „überflüssig“ oder „sinnlos“ verwechselt oder gleichgesetzt werden darf. Auch freiwillige Leistungen erfüllen wichtige Ziele, beispielsweise soziale, ökologische oder kulturelle.

Ich habe im Haupt-, Personal- und Finanzausschuss am Dienstag darauf hingewiesen, dass die finanzielle Entwicklung zurzeit sehr aufmerksam beobachtet wird. Es ist momentan seitens der Verwaltung nicht vorgesehen, der Politik konkrete „coronabedingte“ Konsolidierungsmaßnahmen vorzuschlagen. Natürlich kann sich diese Einschätzung im Zeitablauf ändern. Entsprechende Gegensteuerungsmaßnahmen müssten selbstverständlich durch die zuständigen politischen Gremien beschlossen werden. Dass den von Ihnen angesprochenen Sanierungsmaßnahmen oder Institutionen das „Aus“ droht, kann ich mir persönlich nicht vorstellen.

Wie stellt sich die finanzielle Situation der Stadt Frechen im Augenblick dar?
(Eine Aufstellung der „Einnahmeausfälle / Mehrausgaben Corona-Lage“ ist online im Sitzungsdienst der Stadt Frechen verfügbar.)

Zwischenzeitlich beläuft sich der erwartete Einnahmeausfall bei der Gewerbesteuer auf 2,61 Millionen Euro. Einnahmeausfälle bei der Vergnügungssteuer sind bis dato in Höhe von 595.000 Euro zu erwarten. Welche Steuerausfälle in den Bereichen „Beteiligung an der Einkommensteuer“ und „Beteiligung an der Umsatzsteuer“ zu erwarten sind, ist nicht bekannt. Die Einkommensteuerbeteiligung wird insbesondere dann sinken, wenn sich Arbeitslosigkeit erhöht. Hierbei kann es sich natürlich um längerfristige Effekte handeln, sofern die Arbeitslosenzahl dauerhaft zunehmen sollte. Die Umsatzsteuerbeteiligung der Stadt Frechen hängt davon ab, wie sich die Konsumausgaben entwickeln. Im April hat der Bund bereits über einen Umsatzsteuerrückgang berichtet. Hierbei dürfte allerdings auch der Umstand eine Rolle spielen, dass durch die flächendeckenden Schließungen von Geschäften, Dienstleistungsunternehmen, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen die Möglichkeiten beschränkt waren Geld auszugeben. (…)

1 Kommentar

  • Recherche gut und Sachverhalte richtig. Herr L. hält sich bewusst sauber und versuchte transparent zu wirken. Frau S. sagt (wie meistens) nichts dazu. Dito unsere anwesenden Räte. Niemand hat eine Idee, geschweige denn Forderungen noch Aussicht auf „Actio“ oder Gegenmaßnahmen. Da gehören m.E. neben „in Kontakt stehen mit umliegenden Kämmereien“ (Dr. P.L.) besser proactio drastische Gespräche mit dem Kreis und dem Kreiskämmerer dazu (!), natürlich in gemeinsamer Meinungsbildung aller kreiszugehörigen Kommunen über die BM! Das Fatale ist, dass kein Rettungsschirm des Landes absehbar ist und wahrscheinlich nicht kommen wird, die Einnahmen (nicht nur in Frechen..) werden noch drastischer als überhaupt abschätzbar absinken, und zudem dürfen ohne Genehmigung des Rates Haushaltssperren verhängt werden. (Ich denke wir werden um Neu-/Zusatzverschuldung „Corvid“ in Höhe von 10 bis 20 Mio. nicht umhinkommen, nur um die Stadt am Leben zu erhalten /lfd. Haushaltspläne). Verwalten und Abschreiben darf man die Zusatzkredite auf 50 Jahre.. ein schwacher Trost des Landes.. damit überlassen wir den nachfolgenden Generationen ein sehr bedenkliches Erbe.

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