„Meine Stadt, aus der ich komme, wird sich dramatisch verändern!“

Susanne Stupp, Bürgermeisterin von Frechen, im Interview

Susanne Stupp (CDU) ist seit 2015 Bürgermeisterin von Frechen. Im Interview mit Frechenschau.de war der Strukturwandel in der Region das zentrale Thema.
Foto: Susanne Neumann

Wie stehen Sie zum Kohleausstieg und was kommt danach? Welche Weichen müssen gestellt werden, damit Frechen eine Zukunft als lebenswerte Stadt hat? Der Strukturwandel war im Interview mit Bürgermeisterin Susanne Stupp (CDU) das beherrschende Thema. Doch auch zu verschmutzen Straßen, zu den Straßenbaubeiträgen, die die Stadt von Anliegern kassiern muss, oder zu neuen Wohngebieten in Frechen sagte sie ihre Meinung. Als Verwaltungschefin und stimmberechtigte Vorsitzende des Stadtrats verriet sie außerdem, warum sie die Verwaltung umkrempeln muss und was sie von der Entscheidung des Stadtrats für einen technischen Beigeordneten hält. Das Interview führte Susanne Neumann.

Frechenschau.de: Haben Sie als Bürgermeisterin einen Vorsatz für das neue Jahr?

Susanne Stupp: Nein. Man hat als Bürgermeisterin immer den Vorsatz, alles besonders gut zu machen, Pläne umzusetzen und Ideen für die Stadt zu haben. Das sind keine speziellen Neujahrsvorsätze. Und privat mache ich es eigentlich auch nicht. Dann bin ich auch nicht enttäuscht, wenn ich sie nicht umsetze.

Was steht in diesem Jahr in Frechen an, was fällt Ihnen da als erstes ein?

Es steht eine Menge an. Wir werden Anfang Februar ein Ergebnis von der sogenannten Kohlekommission bekommen. Ich würde mir sehr wünschen, dass es beim geplanten Strukturwandel bleibt und nicht zum Strukturbruch kommt. Wenn man den Kohleausstieg – der ja beschlossen ist und der auch umgesetzt wird – wenn man den zeitlich jetzt nochmal knapper macht, dann bekommt man natürlich auch keinen besonders sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen hin. Wir sind in Frechen zwar nicht mehr durch einen aktuell noch laufenden Tagebaubetrieb betroffen, aber wir haben eine von zwei verbliebenen Veredelungsbetrieben im Rhein-Erft-Kreis hier, am Wachtberg. Das sind die ersten, die zugemacht werden. Und das wissen wir auch.

Brikettfabrik Wachtberg, Foto RWE Power

In der „Fabrik Frechen“ auf dem Wachtberg veredelt RWE Power Rohbraunkohle zu Briketts und Kohlenstaub.
Foto: RWE Power

Der Ausstieg war für 2045 geplant, die Kohlegegner wollen den Ausstieg zumindest bis 2030 schaffen. Dafür sind Sie also nicht?

Nein. Eindeutig nicht. Wir sollten uns für den Wandel die notwendige Zeit lassen. Es geht auch in Frechen nicht darum, nur ein Gebäude abzureißen, es geht hier um die Existenz von vielen, vielen hundert Menschen. Da greift so viel ineinander! RWE zahlt ja auch relativ hohe Löhne. Selbst wenn alle RWE-Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt etwas Neues finden würden, ist die Frage, ob auf dem gleichen Lohnniveau. Ob sich dann die Kaufkraft in unserer Stadt reduziert. Dabei steigen die Immobilienpreise hier dramatisch! Es ist für mich ein schrecklicher Gedanke, dass unsere eigenen Ureinwohner, die diese Stadt mit geprägt und mit aufgebaut haben, sich Frechen plötzlich nicht mehr leisten könnten.

Sie haben mit Ihrer Teilnahme im vergangenen Oktober an der Demonstration von RWE Mitarbeitern für ihre Jobs ja deutlich Stellung bezogen …

Ja.

Waren Sie denn auch auf einer Demo der Klimaschützer?

Nein. Ich bin durchaus für Klimaschutz. Ich fahre ein Elektroauto und bin sehr viel mit dem Thema Fair Trade und Nachhaltigkeit unterwegs. Ich glaube, man kann mich nicht in die Ecke stellen, nicht irgendwo auch grün angehaucht zu sein. Ich wollte mit meiner Teilnahme an der Demo davor warnen, diesen Strukturwandel übers Knie zu brechen. Mir war wichtig, am Kreishaus vorbeizulaufen, wo die Kohlekommission tagte, und zu sagen: ‚Hallo! Achtung! Ich bin hier für Frechen verantwortlich! Und wenn ihr das hier zu schnell macht, dann passiert ganz viel in meiner Stadt. Und meine Stadt, aus der ich komme, wird sich dramatisch verändern – und nicht zu unseren Gunsten.‘ Darauf wollte ich hinweisen. Das heißt aber nicht, dass ich gegen Klimawandel (sic.) bin. Und darum muss ich auch nicht auf der Demonstration von Klimaschützern unterwegs sein.

„Wenn ich so viel Wert auf Ruhe und Sauberkeit lege, dann wähle ich vielleicht auch nicht diesen Wohnort.“

Die Anwohner der Frechener Brikettfabrik, die sich über den Kohlestaub beschweren, sind auch Frechener. Was sagen Sie denen?

Ich habe Ihre Berichterstattung darüber gelesen. Und ich habe die Diskussion dazu auf Facebook angeschaut und wie viele Leute geschrieben haben: ‚Du hättest es dir mal vor 50 Jahren hier angucken müssen.‘ Und es gab Kommentare bei Facebook, in denen es hieß: ‚Ein bisschen muss man auch gucken, in welche Gegend man zieht.‘ Dass ich in der Nähe von so einem Industriestandort vielleicht auch die eine oder andere Beeinträchtigung habe, ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Wenn ich so viel Wert auf Ruhe und Sauberkeit lege, dann wähle ich vielleicht auch nicht diesen Wohnort.

Naja, aber die Verschmutzung ist ja doch sehr großflächig. Wenn man hier irgendwo in der Gegend arbeitet, muss man ja nun auch in die Nähe ziehen. Wir haben in Bachem auch den Schmutz …

Ja …

Und vielleicht gäbe es Anlagen, die den Kohlestaub besser filtern würden, und das ist nur eine Geldfrage …

Ja, aber Entschuldigung, in der jetzigen Situation, in der RWE ist … . Ich möchte zur Filtertechnik nichts sagen, dafür bin ich überhaupt nicht die Fachfrau. Ich weiß aber aus Gesprächen mit dem Wachtberg, dass die da immer auf dem Weg sind, einiges zu verbessern.

„Frechen ist nicht dreckiger oder sauberer als Hürth oder Pulheim oder Bedburg …“

Wo wir gerade beim Thema ‚Schmutz‘ sind: Müll und Dreck – vor allem in der Frechener Innenstadt – waren im vergangenen Jahr in der Bevölkerung und den sozialen Medien, aber auch in der Politik ein viel diskutiertes Thema. Wie nehmen Sie das Problem wahr und was kann die Stadt tun?
Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich jetzt auch an jeder Ecke etwas sehe, was ich früher vielleicht nicht so wahrgenommen hätte. Durch die öffentliche Wahrnehmung wurde das Thema immer problematischer und problematischer. Aber wenn ich mich mit Amtskollegen austausche, sagt mir jeder, Frechen ist nicht dreckiger oder sauberer als Hürth oder Pulheim oder Bedburg oder wo auch immer. Das, was das Stadtbild schmutzig erscheinen lässt, das sind die Leute, die ihren Müll neben den Abfalleimer werfen und in die Gegend schmeißen oder Wände ansprühen. Und da geht mir ehrlich gesagt langsam die Fantasie aus, was eine Stadt dagegen tun kann.

Bildzitat aus Facebook zu Müll in der Fußgängerzone

Bei Facebook hat ein Nutzer Fotos von Müll und Unrat auf Frechens Hauptstraße veröffentlicht. Andere Facebook-Nutzer kommentieren die Bilder mit entsprechenden Emoticons. Hier haben 98 Personen mit „verärgert“, „erschreckt“ oder „traurig“ reagiert .

Ich glaube wir bekommen das nur in den Griff, wenn die Leute wieder das Bewusstsein haben, dass Müll nicht auf die Straße und die alten Autoreifen oder Sperrmüll nicht ins Feld gehören. Darum finde ich viele Aktionen sehr begrüßenswert, die in Kindergärten oder Schulen stattfinden, um dieses Bewusstsein wieder mehr in Köpfe rein zu bekommen. Gerade bei Kindern hab den Eindruck, dass die ein höheres Bewusstsein dafür haben, als manch anderer. Stadt und Politik haben in Frechen schon viel bewegt, ob das jetzt neue Abfalleimer sind, oder dass jetzt samstags kostenlos Sperrmüll angenommen wird. Ich kenne natürlich auch die Forderungen nach Kameraüberwachungen, nach drastischen Strafen wie in manchen asiatischen Ländern oder nach mehr Leuten im Ordnungsdienst, die rumlaufen und aufpassen. Aber will ich denn so leben? Möchte ich wirklich über die Hauptstraße gehen und jeder zweite, der mir entgegen kommt, ist jemand vom Ordnungsamt, der mich kontrolliert und überwacht? Ich bin mir, glaube ich, sicher, dass ich das nicht möchte.

„Wir haben noch nie jemanden wegen einer städtischen Rechnung so in die Enge getrieben, dass er sein Haus verkaufen musste.“

Ein weiteres Thema in 2018, das uns sicher auch in diesem Jahr beschäftigen wird, sind die Straßenbaubeiträge, mit denen sich Anlieger an einer Sanierung ihrer Straße beteiligen müssen. Der Bund der Steuerzahler in NRW sammelt derzeit Unterschriften für die Abschaffung der Straßenbaubeiträge (Link). Was sagen Sie jemandem, der sich nicht leisten kann, mehrere Tausend Euro zu zahlen, weil er das Pech hat, an einer betroffenen Straße zu wohnen?

Es gibt ein Landesgesetz dazu, wie diese Straßenbeiträge erhoben werden, und danach arbeiten wir wie jede andere Stadt auch. Und die Anwohner haben ja eine gewisse Zeit, sich auf die Rechnung vorzubereiten. Da gab es in der Vergangenheit immer wieder Fälle von Menschen, die gesagt haben: ‚Liebe Stadt Frechen, ich hab das Geld jetzt nicht auf der hohen Kante, ich kann das jetzt nicht auf einen Rutsch bezahlen.‘ Dann haben wir immer in Einzelgesprächen eine Lösung gefunden – über Stunden, über Portionieren – so, dass sich die Menschen das durchaus leisten konnten. Soweit ich die Berichterstattung verfolgt habe, wird im Land NRW auch nicht mehr über die Grundsätzlichkeit der Struktur nachgedacht, sondern über solche Härtefallregelungen. Ich wäre nicht überrascht, wenn wir viele von denen ohnehin schon im Alltag praktizieren. Wir haben noch nie jemanden wegen einer städtischen Rechnung so in die Enge getrieben, dass er sein Haus verkaufen musste.

Ein paar Tausend Euro können auch sehr einschneidend sein, ohne dass man gleich das Haus verkaufen muss. Dafür muss man aber vielleicht auf den nächsten Urlaub verzichten oder die nächsten

Ja, aber ich kann als Stadt auch nicht sagen, ‚ich bezahle alle Straßen und spare das dann im Haushalt am … ‚ keine Ahnung! Die Bundesländer, die keine Straßenbaubeiträge erheben und die so gerne zitiert werden, (hier brach das erste Interview ab, die Antwort habe ich aus dem Gedächtnis beendet, bitte prüfen:) Da ist dann wieder die Frage, was gerechter ist: dass die bezahlen, die am meisten von der Maßnahme profitieren, oder alle?

„Wenn wir wachsen, dann im Westen …“

Kommen wir an dieser Stelle nochmal zum großen Ganzen zurück: Der Strukturwandel wird sich auf das Leben, auf Wohnen und Arbeiten in Frechen auswirken. Inwieweit kann und muss die Stadt die Weichen stellen und die Entwicklungen steuern?

Wenn ein großes Unternehmen, ein großes Gewerbe wegbricht oder sich die gewerbliche Struktur verändert, und wenn gleichzeitig viele Menschen von Köln aus aufs Land rausziehen, birgt das die Gefahr für Frechen, zur Schlafstadt zu werden. Weil es vielleicht ganz bequem ist zu sagen: ‚Irgendwann werden große Flächen frei und dann bedienen wir einfach nur den Siedlungsdruck aus der Großstadt.‘

Wieviel Zuwanderung verträgt Frechen Ihrer Meinung nach?

Zehn Prozent Bevölkerungszuwachs bis ungefähr zum Jahr 2030, da orientiere ich mich an einer Zahl der Stadt Hürth. Ich denke, bei zehn Prozent Zuwachs können wir auch die Menschen mitnehmen. Als wir der Öffentlichkeit Ende Oktober im Stadtsaal den Entwurf des neuen Flächennutzungsplans vorgestellt haben, in den wir ja nur potentielle Wohngebiete für zukünftige Generationen einbringen wollten, haben wir gemerkt, mit welchem Gegenwind man sich da in manchen Stadtteilen konfrontiert sieht. Ich glaube, Frechen will auch an manchen Ecken nicht mehr wachsen.

Potentialfläche für das Wohnbaugebiet W-KÖ-5 in Königsdorf

An Mühlenweg und Aachener in Königsdorf sieht der Entwurf eines neuen Flächennutzungsplans für Frechen ein 8,44 Hekta großes Wohngebiet vor.
Foto: Susanne Neumann

Wie in Grube Carl. Bei besagter Infoveranstaltung regte sich im Publikum vor allem Widerstand wegen des zunehmenden Verkehrs. Und gerade erst hat die Bürgerinitiative ‚Lokale Agenda‘ gegen neue Wohnbauflächen in Königsdorf Bedenken angemeldet, die im Entwurf des Flächennutzungsplans vorgesehen sind. Offenbar heißt es in allen Stadtteilen, die überhaupt noch in Frage kommen: No, hier nicht mehr! Wie gehen Sie damit um?

Also für Königsdorf kann ich es gut nachvollziehen. Da sind mit ‚Rotental‘ und ‚Atrium‘ in den letzten zehn Jahren zwei große neue Baugebiete entstanden, in deren Zuge man jetzt noch mit dem Abarbeiten von Herausforderungen zu tun hat: Die Grundschule wird fünfzügig ausgebaut, die Sportstätten sind zu klein und wir müssen über viele andere Dinge nachdenken. Da habe ich viel Verständnis, wenn man dort sagt: ‚Jetzt nicht nochmal in den nächsten Jahren 5000 Leute dazu.‘

Aber viele Alternativen gibt es ja nicht …

Bei Grube Carl bin ich ein bisschen anderer Meinung. Es gibt einen politischen Grundlagenbeschluss, dass man dort einen neuen Stadtteil entwickeln möchte. Und jetzt auf – in Anführungszeichen – halber Strecke anzuhalten, fänd ich nicht sinnvoll. In Grube Carl gibt es Menschen, die völlig zu Recht beklagen: ‚Wir haben überhaupt keine Infrastruktur hier, wir haben keinen Nahversorger und die Verkehrsanbindung bekommen wir auch nicht so richtig flott.‘ Wenn wir am jetzigen Status Quo der Bevölkerungszahl in Grube Carl festhalten, werden wir auch keinen Nahversorger finden. Und auch keine Verkehrsbetriebe begeistern können, dort noch mehr ÖPNV anzubieten und und und. Wenn wir wachsen, dann im Westen und woanders nicht mehr, das ist politischer Konsens. Jetzt rede ich nicht über Baulücken, die wir auch erstmal schließen müssen.

„Wir haben durchaus auch die Kraft zu sagen: Wir bleiben Industriestandort“

Als Schlafstadt sehen Sie Frechen jedenfalls nicht, um da nochmal anzuknüpfen?

Ich kämpfe deutlich dagegen, Schlafstadt zu werden. Im Moment haben wir noch eine positive Bilanz, es kommen morgens mehr Leute zum Arbeiten nach Frechen rein als rausfahren. Wenn das umschlägt, dann haben wir hier nur noch Menschen wohnen, die hier schlafen, aber nicht mehr am städtischen Leben teilhaben wollen. Das möchte ich nicht.

Sondern?

Wir sind hier mit Industrie groß geworden. Wir haben von der Industrie gelebt, wir haben Industrieflächen und wir haben durchaus auch die Kraft zu sagen: Wir bleiben Industriestandort und begeben uns aktiv auf die Suche nach neuen Unternehmen, die sich hier ansiedeln. Wir müssen gucken, was wir mit frei werdenden Flächen machen, die beim Strukturwandel frei werden. Auch das ist eine politische Entscheidung, die herbeigeführt werden muss.

Was für Unternehmen sehen Sie denn in Frechens zukünftigen Gewerbegebieten?

Eine Vision sind natürlich Unternehmen, wie die im Gewerbepark an der Augustinusstraße in Königsdorf. Aber ich denke, wir können als Stadt nicht nur Branchen mit englischsprachigen Berufe haben, sondern wir müssen einen guten Branchenmix hinbekommen. Wenn ich einen Traum träumen könnte, würde ich sagen, ich möchte viele Mittelständler hier ansiedeln, die was produzieren, die vielleicht auch im handwerklichen Bereich unterwegs sind. Wir wissen ja alle, dass im Mittelstand die wahre Stärke einer Wirtschaft liegt.

Wir haben mit Sicherheit Pluspunkte mit der genialen Verkehrsanbindung. Auf der anderen Seite werden dadurch auch Grundstückspreise aufgerufen, die sich mancher Mittelständler vielleicht nicht unbedingt leisten kann. Eine zentrale Frage im Strukturwandel wird sein, wie der Zugriff auf frei werdende Flächen geregelt ist. Bekommt man das ausverhandelt, dass Kommunen erste Ansprechpartner sind beim Ankauf von Liegenschaften? Und das eben auch zu einem Preis, den sich Kommunen auch verantwortungsvoll leisten können.

Wie ist das jetzt geregelt?

Gar nicht. Die Liegenschaften gehören – lassen Sie uns bei dem Beispiel Wachtberg bleiben – der Energiewirtschaft. Wenn dort keine Braunkohle mehr veredelt wird, dann kann die Eigentümerin natürlich ihr Grundstück verkaufen, an wen sie möchten. Aber bekommt man das ausverhandelt, dass die Kommune dann der erste Ansprechpartner ist und zugreifen kann? Selbstverständlich sollen die Grundstückseigentümer Geld verdienen und auch angemessen entschädigt werden. Aber kann eine Kommune dann über einen Staatsvertrag oder wie auch immer das Grundstück übernehmen und auch verkaufen? Oder auch sagen, ich will an der Stelle gar nichts weiter entwickeln? Das kann ich mir zwar für Frechen nicht vorstellen, aber das könnte ja auch eine Entscheidung sein.

„Wir haben aus der Untersuchung auch gelernt, dass wir von den Kolleginnen und Kollegen (…) unfassbar viel abverlangt haben.“

Die Ansiedlung von Unternehmen und Geschäften ist in Frechen der zentrale Aufgabenbereich der städtischen Wirtschaftsförderung. Nun haben wir aus der Presse erfahren, dass die Leiterin der Abteilung Wirtschaftsförderung und Liegenschaften, Susanne Dettlaff, die Stadt wieder verlässt, nachdem sie erst im Sommer 2016 angefangen hat. Auch Nina Herrmann, ihre Mitarbeiterin, wechselt aus der Wirtschaftsförderung heraus, wenn auch auf eine neue Stelle innerhalb der Stadtverwaltung. Die Wählergemeinschaft „Perspektive für Frechen“ spricht vom ‚Winterschlussverkauf im Rathaus‘ …

Ich habe mit beiden Damen gesprochen und mir haben beide Entscheidungen sehr leid getan – obwohl ich sie persönlich gut nachvollziehen kann. Die Gründe für ihren Wechsel sind nicht, dass alles ganz schrecklich hier ist, sondern dass sich für die beiden Kolleginnen Perspektiven ergeben, sich inhaltlich nochmal anders aufzustellen. Mir bietet das natürlich auch eine Chance, nämlich Wirtschaftsförderung unter der Überschrift ‚Strukturwandel‘ vielleicht nochmal ganz neu definieren zu können. Außerdem müssen wir mit der Einrichtung einer weiteren Beigeordnetenstelle unsere Geschäftskreise in der Verwaltung ohnehin neu definieren.

Heißt das, dass Sie die beiden Stellen in der Wirtschaftsförderung jetzt nicht einfach neu besetzen sondern erstmal ein neues Konstrukt für städtische Wirtschaftsförderung entwickeln?

Das sind meine ersten Gedanken. Selbstverständlich sollen die Stellen auch zeitnah besetzt werden, weil Wirtschaftsförderung und die Ansiedlung von Unternehmen ein noch drängenderes Top-Thema ist, als es bislang schon war. Aber es kann in der Struktur vielleicht auch anders eingebunden werden. Wir hatten bisher die klassische Kombination von Wirtschaftsförderung und Liegenschaften. Macht diese Kombination noch Sinn oder kombinieren wir Wirtschaftsförderung vielleicht lieber in einem anderen Zusammenhang?

Wie Sie schon angesprochen haben, stehen in 2019 ohnehin größere Veränderungen in Struktur und Organisation der Stadt Frechen an. Es hat eine Organisations- und Geschäftsprozess-Untersuchung in den technischen Bereichen der Verwaltung gegeben. Die Ergebnisse wurden Ende letzten Jahres unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Rat vorgestellt. Aus den nachfolgenden öffentlichen Debatten und Entscheidungen in den Ausschüssen und im Rat durften wir aber schlussfolgern, dass es hier und dort knirscht in der Verwaltung.

Genau. Und wir haben uns genau diese Stellen angeschaut: Wo knirscht es? Wie können wir im Haus zusammenarbeiten und Prozesse besser organisieren? Was erwartet Politik und was möchte Verwaltung, wie können wir auch da die Zusammenarbeit besser organisieren? Das hat nichts damit zu tun, dass hier alles ganz fürchterlich im Argen liegt, sondern dass sich Rahmenbedingungen verändert haben. Vor zehn, zwanzig Jahren haben wir zum Beispiel auf Mobilitätsmanagement oder Umweltschutz noch nicht so einen großen Schwerpunkt gehabt wie heute. Da ist vielleicht mancher Prozess im Haus nicht mitgenommen worden.

Ist der Sand im Verwaltungsgetriebe ein Grund, dass sich Projekte in Frechen verzögern?

Nein. Das würde ich ausschließen. Mit Sicherheit kann man, wenn man ganz genau hinschaut, immer nochmal fünf Prozent finden, wo eine Abstimmung eine Woche zu lange gedauert hat. Aber das hängt auch an Faktoren, die von außen kommen. Und die, glaube ich, niemand mehr bedauert, als ich und auch meine Kolleginnen und Kollegen. Es macht hier keinen fröhlich, einer Schule zu sagen: ‚Es dauert ein paar Wochen länger.‘ Oder dass andere Dinge sich verzögern. Aber das liegt daran nicht.

Als Hauptgrund für Verzögerungen bei der Umsetzung von Bau- und Sanierungsmaßnahmen wird seitens der Verwaltung regelmäßig Personalmangel kommuniziert. Weil Ingenieure und andere Fachkräfte vor allem in den technischen Bereichen derzeit schwer zu bekommen seien …  

Personalmangel ist ein Problem, selbstverständlich. Und wir haben aus der Untersuchung auch gelernt, dass wir von den Kolleginnen und Kollegen, die hier sind und die diese Vakanzen mit aufgefangen haben, in letzter Zeit unfassbar viel abverlangt haben. Ich bin froh, dass uns die Untersuchung nochmal konkret mit Zahlen versorgt hat, wo wie viele Stellen fehlen! Und die Politik (der Stadtrat, A.d.R.) hat das dankenswerter Weise auch sofort aufgegriffen und den Stellenplan erweitert, so dass wir da jetzt auch in die Ausschreibung gehen, um Leute zu finden. Ich wünsche mir unheimlich, dass wir trotz dieser fatalen Arbeitsmarktlage auch gute neue Kolleginnen und Kollegen finden können, die uns dann hier im Team verstärken.

Als Folge der Untersuchung hat eine Mehrheit in der letzten Ratssitzung des Jahres 2018 auch entschieden, dass Frechen einen technischen Beigeordneten bekommt. Die Abstimmung darüber war geheim, aber es steht fest, dass auch Mitglieder der Koalition aus CDU, FDP und Bündnis 90/Grüne, die im Rat die Mehrheit hat, für einen technischen Beigeordneten gestimmt haben – zusammen mit der Opposition. Sie haben als Verwaltungschefin und stimmberechtigte Vorsitzende des Stadtrats nicht für die neue Stelle in der Verwaltungsspitze gestimmt. Warum nicht?

Meiner Meinung nach hätten wir zuerst das Personal – also die viel zitierten ‚Indianer‘ – deutlich verstärken müssen und die Prozesse dann nochmal anschauen und vielleicht nochmal optimieren müssen. Wenn das nicht zu hundert Prozent die gewünschten Erfolge gebracht hätte, dann hätte ich nie widersprochen noch einen neuen Beigeordneten zu installieren. Aber jetzt ist der Prozess von der Politik andersherum gedacht worden. Das ist nicht meine Meinung, aber das wird jetzt umgesetzt. Das ist in der Demokratie so. Und wir arbeiten da gerade auch mit Hochdruck dran.

„Es ist nach wie vor für mich der schönste Beruf der Welt!“

Die technischen Bereiche sind im Moment aufgeteilt auf Sie und den Kämmerer und ersten Beigeordneten Partick Lehmann. Dem ersten Beigeordneten untersteht im Fachdienst Eins die Gebäudewirtschaft – worunter zum Beispiel auch die Schulsanierungen fallen. Ihnen unterstehen die Fachdienste Sechs für ‚Stadtentwicklung, Liegenschaften, Bauordnung‘ und Neun, unter anderem mit den Bereichen Verkehrsmanagement und Tiefbau also auch Straßenbau. Da wird ein technischer Beigeordneter, der sich zukünftig um diese Bereiche kümmern wird, doch sicher auch eine Entlastung für Sie sein?

Selbstverständlich kann er mir auch neue Freiräume im Kalender bringen, die ich dann für genauso sinnvolle Dinge nutzen kann. Aber ich habe mir im ersten Jahr als Bürgermeisterin sehr, sehr viel Zeit dafür genommen, mir Baustellen anzuschauen – sicher nicht, um mir die nötige Fachkompetenz anzueignen, aber um zumindest ein Gefühl dafür zu bekommen, wie solche Prozesse ablaufen. Das war grundsätzlich gar nicht so mein Thema, aber ich habe viel Freude daran gefunden und viel gelernt. Das werde ich jetzt auch mitnehmen – was nicht heißt, dass ich dem neuen Kollegen da irgendwo reinregieren werde. Das wird ja mit Sicherheit jemand sein, der schon aufgrund der Ausschreibung mit einer Kompetenz aus einem technischen Beruf kommt.

Sie sind als Nachfolgerin von Hans-Willi Meier seit 2015 im Amt. Wie haben Sie sich insgesamt eingefunden in die Rolle der Bürgermeisterin?

Mir machte es nach wie vor wahnsinnig viel Spaß. Ich hab noch nicht einen Tag gedacht: ‚Och, heute denkst du dir eine Entschuldigung aus und bleibst mal lieber zu Hause.‘ Es gibt Tage, da gucke ich morgens in den Kalender und denke: ‚Das werden anstrengende Tage.‘ Und die Themen sind auch nicht immer fröhlich. Aber mir bringt jede Begegnung, jedes Gespräch, jeder Termin immer auch ganz persönlich eine Menge. Es ist nach wie vor für mich der schönste Beruf der Welt! Und ich würde wirklich jedem dringend anraten, ihn anzustreben. Nur nicht in Frechen – weil da will ich es ja bleiben.

Sie wollen also bei der nächsten Bürgermeisterwahl 2020 wieder antreten?

Ja.

Was wollen Sie bis dahin auf jeden Fall noch erreichen?

Ich möchte die Schulbauprojekte abgeschlossen haben. Ich möchte bis dahin die Verwaltung umstrukturiert haben. Da haben wir jetzt einen ganz sportlichen Zeitplan bis zur Sommerpause. Bis dahin wollen wir (Verwaltung, A.d.R.) dem Rat einen Vorschlag machen. Und jetzt träum‘ ich mal weiter, dass wir (Stadtrat, A.d.Red.) auch noch vor der Sommerpause einen technischen Beigeordneten wählen können, der dann auch einen Tag später sofort anzufangen kann.

Geräumtes Gelände der Steinzeug Keramo GmbH

Bis Herbst 2018 lagerten auf dem Gelände der Steinzeug Keramo Tonröhren. Zum 31. Dezember hat das Unternehmen den Produktionsstandort an der Bonnstraße verlassen.
Foto: Susanne Neumann

Ja, und dann habe ich noch den absoluten Traum, dass wir bis 2020 das ehemalige Gelände des Steinzeug-Keramo als neues Gewerbegebiet entwickelt haben. Wir sind schon das ganze letzte Jahr in enger Abstimmung mit dem Grundstückseigentümer unterwegs, um zu schauen, was man mit diesem elf Hektar großen Gelände machen kann. Da sind viele Abstimmungen zu notwendig. Man hat immer so eine Faustregel, dass zwischen Idee und Spatenstich bei so großen Geschichten manchmal drei bis vier Jahre liegen, aber es wäre natürlich wunderschön, wenn es schneller funktionieren könnte.

Frau Bürgermeisterin, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit!

2 Kommentare

  • Danke für diesen sehr informativen Beitrag! Gruß, Franz Ulten

  • Henry Schumacher

    Das wir als Industrienation in der Pflicht sind, im Klimaschutz zu handeln, steht außer Frage.
    Es geht um das Wie und da teile ich die Ansicht der Bürgermeisterin. Es ist Sach- und Fachverstand und Augenmaß gefragt. Es ist eine ist eine Illusion zu glauben, unser sofortiger und damit unstrukturierter Ausstieg aus der Kohle, könnte das Weltklima retten.
    Mit ideologisch motivierter Symbolpolitik ist wirklich keinem geholfen. Es müssen konkrete Maßnahmen in einem realistischen Zeitrahmen verabredet werden und das so schnell wie möglich!

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